Concepcion-der Stachel in der Seite des Weiben Hauses

Uber eine merk-wurdige Frau and Nachbarin des USA-Prasiden / Aus Washington berichtet
REINER OSCHMANN
Neues Deutschland
Freitag, 1, September 1995

Das Weise Haus ist eine ers Adresse nicht nur fur Politikaus aller Welt. Es ist Magnt fiir t~glich Tausende Touristen. Zuvorderst aber ist f Amtssitz und Wohnung des elsten Mannes der Vereinigte Staaten. Jeder Prisident auSf George Washington, der 179 den Grundstein legte-und, wj es heiBt, den Bau iibeiwachtc hat hier gearbeitet und mit se: ner Familie gewohnt.

Seit dem 1. AuRust 1983 Irunmehr im 15. Jahr, hat da WeiDe Haus eine ungewiihnl che Nachbarin. Sie lebt gena gegeniiber dem Nordfliigel de Preisidentensitzes unter freier Himmel und ist nur durch di Breite der Gehsteige und de Pennsylvania Avenue von de Prlsidentenfamilie getrenn Bei ihrer Ankunft waren es di Reagans, spiter die Bushr heute sind es Bill und Hillar Clinton.

Busfahrt ohne Riickfakarte

Auf dem BiiFgersteig bean sprucht die Frau nicht meh als drei bis vier Quadratmeter Dort hat sie ihre selbstgeba stelten Transparente und Poster errichtet. Hier ist ihr Fahr rad abgestellt, ihr Zeichenzeu: und das biBchen persiinlichl Habe. ijber drei Plastik-Milch kisten hat sie eine sauberl Wolldecke gespannt - ihr Sofa Stuhl und Bett in einem, unc auch vgn hier aus hat sie Garten, Springbrunnen und;dil Fensterfront auf der Nordseit des White House im Blick Nachts um elf schalten sie dic Beleuchtung des Brunnen ab", sagt ConcepciBn Picciottc und gibt damit Intimkenntnil der Nachbarschaftsverh;iltnisse zu erkennen.

Die 50jahrige stammt aus Galizien im Nordwesten Spaniens und ist seit gut 30 Jahren den USA. Neun Jahre verbringt sie zunachst in New York in der Handelsvertretung der spanischen Botschaft, dann fur ihr Land bei der UNO. Die kleine Frau spricht funf Sprachen, deutsch nur wenig Worte. Die ersten Jahre in New York lebt sie an der Seite ihres italienischen Ehemannes standesgemaB: Eine Grande Damder Gesellschaft - der Ehepartner Geschaftsmann und Vater der gemeinsamen Tochter Olga ("nach der russischen Turnerin Olga Korbut, die ich bewunderte"), die 1973 geboren wird.

Als Concepcion 20 Monate spater eine traumatisch Scheidung erfahrt, nach der der autoritare Vater auch die Vormundschaft fur die Tochter erhalt, verandert sich fur die Mutter alles: Concepcion verliert Ehemann und Tochter, Arbeit und Zuhause. Jahrelang versucht sie die Vormundschaft fur das Kind zuruckzu gewinnen. Sie geht im Bundesstaat New York und in Madrid vor Gericht. SchlieBlich sucht sie, den fur New York zustandigen Abgeordneten im Unterhaus des Bundesparlaments in Washington fur ihren Fall zu interessieren. Alles vergebens.

Concepcion tragt daraufhin den Kampf um ihr Recht in die Offentlichkeit, zumal sie merkt wie oft die Prinzipien des Rechtsstaats nicht mit seiner Praxis ubereinstimmen. Eines Tages, im Sommer 1981. packt sie ihre Sachen, nimmt einen Bus zum Lafayette Park und laBt sich vor dem WeiBen Haus nieder. Seitdem ist sie dort geblieben. Tag und Nacht, Fruhling, Sommer, Herbst und Winter, und seit langem ist der Kampf um ihr personliches Recht aufgrund ihrer Politisie-rung zu einem Kampf um Frieden und internationale Gerechtigkeit geworden.

Heuchelei und Doppelzun-gigkeit der Herrschenden, die sie zunachst personlich, dann als offen politisch Handelnde erlebt, nennt Concepcion als Motiv ihres aufsehenerregen- den und in jeder Hinsicht stra-paziosen Protests.."They're lying" - sie lugen, steht auf dem Anstecker an ihrer Brust, und auch die Flugblatter,,.die die schwarzhaarige Frau an die Passanten verteilt, machen vor allem auf den Widerspruch zwischen den wohltonenden! Friedensbeteuerungen aus dem WeiBen Haus und dem Festhalten an der Atomwaffenpolitik aufmerksam. Sie zeigt mir das Lincoln-Zitat auf ihrer Wandzeitung, um die Offentlichkeit des Protests zu erklaren: To sin by siience when they should protest, makes cowards of men - durch Schweigen sundigen, wo protestiert werden mubte, macht aus Mannern Feiglinge...

Feige ist das Personchen gewib nicht, was immer man von ihr halten mag. Wiederholt ist sie in den vergangenen Jahren von der Polizei eingeschuchtert und bedrangt, nachts uon betrunkenen Obdachlosen im Lafayette Park angegriffen worden. Die Behorden verschlrfel wiederholt ihre Vorschriften um die stolze Spanierin zun Aufgeben zu zwingen. Ers nmuB sie vom Gehsteig vor den kZaun am WeiBen Haus auf del Gehsteig der gegenuberliegen den Strabenseite wechseln Dann wird die Zahlder Transparente auf zwei, ihre maxi male Hofe auf 1.80 Meter be schrankt, Spater festgelect,dab sie ihre Friedenswache nich weiter als drei FuB (knapp einen Meter) verlassen darf. Einc Verletzung dieser vorschrif galte als Im-Stich-Lassen det Protestposter und wurde die Polizei zur Beschlagnahme des Standes berechtigen.

Auch schlafen darf Concepcion des Nachts offiziell nicht weil dies - rechtlich betrachtet unberechtigtem Camping im Park gleichkame. "Man raubt mir Stuck fur Stuck einzelne Freiheiten". Sie sieht darin einen Beleg fur ihr Urteil uber die USA: The land of the free - as long as you agree. Auf deutsch etwa: Das Lana der Freien, vorausgesetzt, Du sagst zu allem Ja und Amen. Das aues schafft Fia Concepcion ganz praktische Schwie- 1 rigkeiten: Sie kann sich kaum vom Fleck bewegen. Wenn sie einmal pro Tag in einem Obdachlosenasyl auf der anderen Seite des Lilfayette Parks du- schen,!zur Toilette und etwas einkaufen geht, kann sie da's nur tun, wenn vorher Bekannte die Aufsicht uber die Mahnwache ubernehmen.

Kopfhelm unter der Perucke Spatabends lehnt sie sich, im; Sitzen, mit dem Kopf an den Holzrahmen ihres Plakatgestells und schlaft so, "pro Nacht vielleicht vier bis funf Stunden. Am schlimmsten sind die Winter, der vor zwei Jahren steckt ihr noch heute in den Gliedern. "Die StraBen waren spiegelglatt vom Eis. Hier auf der Pennsylvania Avenue haben sich die Autos wie Karussells gedreht, und Bekannte wolltenmich wegholen von der Friedenswache. Ich bin Nacht fur Nacht auf und abgegangen und habe gebetet, Gott moge mich nicht erfrieren lassen."

Sie bestreitet, verbiestert zu sein."Ich bin nicht der Typ, der sich in die Ecke setzt und heult. Icb hin ein lustiger Mensch, und friiher habe ich viel gesungen. Ich bin eine Kampferin". Concepcion zeigt auf ihren Kopf, auf dem sie unter Kopftuch und Perucke einen Helm tragt. Immer. Aus Erfahrung, nachdem sie vor einigen Jahren ein amerikani-scher Marinesoldat ins Gesicht geschlagen hat. Fast verschmitzt bedeutet sie mir: "Im Laufe der 15 Jahre kann ich schon Fortschritte beobachten. Anfangs haben mich viele Amerikaner beschimpft: "Go to Russia!', 'Beschaff Dir nen Job'! oder einfach nur: 'Verschwinde!' Inzwischen finde ich viel Aufmerksamkeit und Zuhorer.

Concepcion versteht sich nicht als Aubenseiterin. "Ich bin keine Exzentrikerin, son-dern durch meinen Kontakt mit so vielen Menschen eng mit dem Alltag verbunden. Die da druben", erklirt sie mit einer Armbewegung in Richtung ihrer prominenten Nachbarn, "die leben in einer Welt der Phantasie, ich aber bin Zeuge ihrer Verbrechen."

Ihren Lebensunterhalt be-streitet sie mit bescheidensten Mitteln. Von kleinen Spenden, die sie bisweilen fur ihre Flug- blatter und fur die in leuch-tender Farbe und mit Friedens- symbolen bemalten Steine bekommt, ernahrt sie sich. Ein Backer aus der Umgebung bringt ihr manchmal eine Tute mit Brotkrumen. Sie brauche nicht viel, rauche und trinke nicht. Sie wundert sich selbst, dab sie das alles bis heute gesundheitlich unbeschadet uberstanden hat. "Das einzige Krankheitsgefuhl, das ich verspure, ruhrt von dem her, was die dort tun. Eigentlich mochte nicht mehr hier sein, aber ich weib nicht, wie lange ich bleiben werde".

Den heutigen Amtsinhaber im Weiben Haus halt sie irgendwo fur ehrlicher als seine beiden Vorganger. Nicht nur, weil Amerikas First Lady ihr einige Male ein paar Sandwiches vorbeibringen lieb. Doch trauen tut sie keinem amerikanischen Prasidenten. Auch die vor unserem Gesprach gerade bekanntgewordene Ankundigung Clintons, Amerikas Kernwaffenversuche ab sofort generell einzustellen; nimmt sie voller Argwohn auf. "Clinton ist ein Wetterhahn. Heute so, morgen so". Man musse auf der Hut und, was sie betrifft, vor Ort bleiben.

Unsere Unterhaltung wird mehrfach unterbrochen. Sobald Passanten Interesse fur ihre Friedenslosungen zeigen, spricht Concepcion sie an, for dert sie auf, sich gegen internationale Waffenverkaufe, fur das Verbot von Atomwaffen-versuchen oder gegen die all-gemeine Doppelzungigkeit des modernen Lebens einzusetzen. Kleiner hat sie's zlicht, kleiner will sie's nicht, deswegen hat sie auch keine Scheu - mit einem Blick uber den Zaun des Weiben Hauses - zwischendurch Satze wie diesen fallen zulassen: "Es gibt keine Grechtigkei oder Demokratie in dem, was Amerika vorlebt. It is all propaganda and double standards."

In den Augen manches Amerikaners gilt sie als Kommunistin, mindestens als vater landslose Gesellin. Das ficht Concepcion Picciotto nicht an. "Ich glaube an Gott, aber nicht an die Kirche oder religiose Organisationen, weil sie alle korrupt sind. Ich bin weder Sozialistin noch Kommunistin, und ich kassiere keine Wohlfahrt. Ich bin einfach nur ein Mensch, der Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit liebt."

Wenn's nach den Geheimen ginge...

Solche Bekenntnisse reichen aus, Ordnungshuter zu verunsichern. J.F. Muskett, ein drahtiger junger Mann im kurzarmligen Uniformhemd und mit mustgrgultig gestutztem Oberlippenbartchen, ist einer der Geheimdienstmanner, die ebeniso dskret wie unubersehbar den Komplex des Wieben Hauses umstehen. "Er habe, sagt er zu mir, uberhaupt nichts gegen Concepcion, die bekannteste Nachbarin des Prasidenten. "Sie ist eine friedfertige und anstandige Frau. Ich wurde sie auch nicht wegschleppen. Aber wenn es nach mir ginge, wurde ich sie wegbegleiten, denn mit ihrem Dauerprotest verschandelt sie das Weibe Haus, das zu sehen, viele Menschen extra von weither anreisen.

Wie es aussieht, ist Concepcion, die kleine Amerikanerin aus Galizien, ein kleiner, unangenehmer Stachel in der Seit des Weiben Hauses. Sie weib, dab am 1. September Weltfriedenstag ist. Aber das ist ihr nicht weiter bedeutend. Fur sie ist jeder Tag Weltfriedenstag. Seit knapp 15 Jahren.


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